Potenzial von Polinnen und Polen in Deutschland besser nutzen!
Die Situation der polnischen Bürgerinnen und Bürger ist auch im Jahr 2023, fast 20 Jahre nach dem Beitritt Polens zur EU, noch nicht zufriedenstellend. Das ist ein zentrales Ergebnis des VI. Kongresses der Polnischen Organisationen in Deutschland, der vom 29. September bis zum 1. Oktober 2023 in Bonn stattfand. Die wichtigsten Schlussfolgerungen dieses Netzwerktreffens polnischer Organisationen, an dem über 120 VertreterInnen aus verschiedenen Bereichen und Bundesländern teilnahmen, sind folgende:
Das Potenzial von Menschen mit polnischer Migrationsgeschichte und -erfahrung sowie polnischer Organisationen in Deutschland sollte im Interesse der Gesamtgesellschaft besser genutzt werden. Damit könnte auf Herausforderungen wie den Fachkräftemangel, die Radikalisierung der Gesellschaft und die demografischen Herausforderungen in Deutschland besser reagiert werden.
Die TeilnehmerInnen des Kongresses sind sich der Verantwortung polnischer Organisationen für partizipatorische Prozesse in der Gesellschaft bewusst. Damit dies gelingt, müssen die polnischen Organisationen mit den in diesem Dokument vorgeschlagenen geeigneten Instrumenten ausgestattet werden.
Ein ganzheitlicher gesellschaftlicher Dialog und eine demokratische Haltung sind die Plattform und die wichtigste Grundlage für die Aktivitäten der TeilnehmerInnen des VI. Kongresses der Polnischen Organisationen in Deutschland. Die gemeinsame Umsetzung dieser Forderungen durch die Community und die deutschen PartnerInnen ist eine Voraussetzung für weitere wichtige Meilensteine im Zusammenleben von Polen und Deutschen in der Europäischen Union.
Daher fordern wir:
Im Struktur- und Organisationsbereich:
- Stärkung der Geschäftsstelle der Polonia in Deutschland als Einrichtung zur Erfüllung des am Runden Tisch 2011 gefassten Beschlusses von Polen und Polinnen und Deutschland durch:
- Beibehaltung und Aufstockung der finanziellen Mittel für die Geschäftsstelle der Polonia, sowohl für Personal als auch für die Organisation von Veranstaltungen, um die gemeinsam vereinbarte „Strategie Geschäftsstelle der Polonia“ [i] erfolgreich zu realisieren.
- Einführung eines vertraglichen Arbeitsverhältnisses für die MitarbeiterInnen des Büros und schnellstmögliche Erarbeitung einer arbeitsrechtlichen Lösung durch das deutsche Innenministerium.
- Einführung einer Förderung für Strukturen und Projekten von Verbänden in allen Bundesländern, die regional die Interessen von Polen und Polinnen vertreten, um eine wirksame Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen in den Bereichen Partizipation und Soziales im deutschen föderalen System zu ermöglichen.
- Eine Erhöhung der Mittel für Polonia-Projekte durch die Bundesbeauftragte Kultur und Medien von 300.000 auf 500.000 aufgrund der Inflation und der der großen Förderungsbedarfe der polnischen Gemeinschaft. Die Förderung von Einzelprojekten sollte auf 30.000 pro Projekt erhöht werden. Diese Projekte dienen insbesondere der Erfüllung der Bestimmungen des deutsch-polnischen Vertrages über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit. Es ist die Zivilgesellschaft, die durch Kultur, Musik und Kunst das Fundament für diese gute Nachbarschaft legt, und es ist dieses Engagement, das alle Grenzen überwindet.
- Die KongressteilnehmerInnen unterstützen zudem nachdrücklich das Konzept des Polen-Denkmals und des Deutsch-Polnischen Hauses als Erinnerungs- und Begegnungsort und fordern gleichzeitig die nachhaltige Einbindung von VertreterInnen der Geschäftsstelle der Polonia und der polnischen Community in Deutschland in die laufenden konzeptionellen Arbeiten, damit der überparteiliche politische Wille im Umsetzungsprozess auch wirklich zum Tragen kommt: „Die Einrichtung soll ferner historische Verflechtungen vor 1939 und nach 1945 aufzeigen. Dazu gehörten die Teilungen Polens, Migrationen aus Polen in deutsche Länder sowie die Integration in die Europäische Union und die Nato“[ii].
Im Bereich Aufbau der Kapazitäten der polnischen Community in Deutschland:
- Zur Stärkung der Integrations- und Partizipationsprozesse von Polen und Polinnen in Deutschland, der Resilienz und nachhaltigen demokratischen Entwicklung der mittleren, jungen und älteren Generation von Polinnen und Polen in Deutschland sowie der Professionalisierung polnischer Organisationen und Verbände soll ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden. Aufgabe des Kompetenzzentrums wäre es, die verbindenden Grundlagen der deutsch-polnischen Beziehungen zu festigen, indem der Dialog und die Zusammenarbeit intensiviert und Konflikte gelöst werden. Dazu gehört die Organisation von Kongressen, Symposien, Workshops und Fachanalysen. Seine Aktivitäten sollen die politischen, sozialen und kulturellen Kompetenzen dieser Zielgruppe im Kontext der aktuellen Herausforderungen der Gesellschaftspolitik, der Migrationspolitik und damit der EU-Integrationsprozesse in Deutschland stärken.
Im Bereich: Polnische Sprache in Deutschland:
- Einrichtung eines einheitlichen, herkunftssprachlichen Angebots an Polnischunterricht (auch online) in allen Bundesländern im Sinne der Chancengleichheit – um eine vergleichbare und stetige Qualität unabhängig vom Wohnort in Deutschland zu erreichen.
- Bestandsaufnahme des Polnischunterrichts in allen angebotenen Formen in der Ganzen Bundesrepublik, sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext, wie auch Erfassung weiterer Angebote von polnischen MigrantenInnenorganisationen, Initiativen und Privatpersonen zur Pflege und Entwicklung der polnischen Sprache, wie auch durch Länder/Regionen/Kommunen unterstützten Projekte/Vorhaben etc. Anschließend sollte die laufende Erfassung der Angebote erfolgen. Der Bericht der Kultusministerkonferenz über die Förderung der polnischen Sprache in Deutschland sollte alle zwei Jahre veröffentlicht werden. In dem Bericht sollte eine begriffliche Unterscheidung zwischen der HSU und FSU der polnischen Sprache vorgenommen werden. Stärkung der Stellung des Polnischen als moderne Fremdsprache sowie der Slawistik in Deutschland.
Im Bereich des Zugangs zu sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe der polnischen Community:
- Schaffung eines deutsch-polnischen Beratungsnetzwerkes mit der aus den polnischen und deutschen Mittel finanzierten Beratungspunkten in polnischer Sprache, mit dem Ziel: Beratung und Empowerment, als auch psychologische und therapeutische Unterstützung zur Erreichung eines maßgeschneiderten Karriereziels und struktureller Integration in Deutschland sowie Erleichterung der Anerkennung von Qualifikationen und schnellstmögliche Standardisierung dieser Qualifikationen.
- Einrichtung eines Beauftragten für polnische ArbeitnehmerInnen beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wie im Fall von Bulgarien und Rumänien. Ausarbeitung der Konzepte zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe, der ArbeitnehmerInnenrechte und die Durchsetzung dieser Rechte bei mobilen Beschäftigten. Transnationale Migrationsmodelle sind für Millionen von EuropäerInnen längst zur Normalität geworden. Eine Generalunternehmerhaftung sowie ein Direkteinstellungsgebot in weiteren Branchen sind längst überfällig.
- Einführung gesonderter Deutsch- und Integrationskurse für arbeitende und arbeitssuchende polnische Neuzugewanderte, um die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und im gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und das Potenzial von Menschen mit polnischer Migrationsgeschichte auszuschöpfen.
Die TeilnehmerInnen des VI. Kongresses unterstützen die Aktivitäten des Konvents Polnischer Organisationen in Deutschland und sprechen dem Konvent ihren tiefen Dank für seine langjährige Arbeit zur Verbesserung des deutsch-polnischen Dialogs und der Stellung der polnischen Gemeinschaft in Deutschland aus.
Die TeilnehmerInnen sehen die Notwendigkeit eines verstärkten und intensiveren Kontakts mit den Beauftragten für Polonia in den einzelnen Bundesländern. Unter Beachtung der Bestimmungen des Deutsch-Polnischen Runden Tischen vom 2011 appellieren wir an die Bundesministerin des Innern und Heimat, jährliche Treffen unter Beteiligung von VertreterInnen der Geschäftsstelle der Polonia und polnischen Organisationen in Deutschland, zu organisieren.
Konvent Polnischer Organisationen in Deutschland zusammen mit der „Koalition für Polonia“, die repräsentative pro-europäische Vertretung der polnischen Community, fördern die Teilnahme am nächsten deutsch-polnischen Gesprächen am Runden Tisch.
Die TeilnehmerInnen sehen die Notwendigkeit, bis zum nächsten Kongress der polnischen Organisationen im Jahr 2025 ein Expertengremium einzurichten, die gemeinsam mit dem Konvent der Polnischen Organisationen in Deutschland und der Geschäftsstelle der Polonia in Deutschland die Umsetzung der Postulate begleitet und die Organisation des Kongresses im Jahr 2025 unterstützt.
#Wir sind POLONIA
Bonn, 1. Oktober 2023
[i] Im Jahr 2022 wurde auf Auftrag des BMI ein “Strategiepapier für die Geschäftsstelle der Polonia in Deutschland“ von der ExpertInnengruppe unter professioneller Leitung ausgearbeitet.
[ii] Zitiert nach: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutsch-polnisch-haus-berlin-zweiter-weltkrieg-100.html (Stand: 9.10.2023)